Walter Benjamins Werk zur Kunst gilt als eins der bekanntesten seiner vielen Bücher und Essays. Der Titel „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ verrät bereits viel über den Inhalt seines Aufsatzes. Es geht nämlich um die Anfänge der Fotografie, durch die ein Werk zwar nur einmal im Original vorhanden war, aber gleichzeitig tausendfach dupliziert werden konnte und die Auswirkung dieser Entwicklung auf das Kunstverständnis. Für Walter Benjamin gab es eine Art Allgemeinverständnis, das alle oder viele Menschen teilen: Seiner Meinung nach sind es nicht nur persönliche Aspekte, die einen Einfluss auf das Verständnis eines Kunstwerkes haben, sondern auch vor allem historische. Da nun viele Menschen geschichtliche Hintergründe teilen, würde dies auch ein ähnliches Verständnis bezwecken. Zudem befürchtete er, dass Kunst immer aus politischen Gründen ausgeübt werden würde, wenn durch die Duplikate die Veränderung der kollektiven Meinung möglich werden würde und dadurch Kunst ein politisches und die Gesellschaft formendes Medium werden würde.
Sein Werk beinhaltet am Anfang die These der Aura eines Werkes. Nach Benjamin besitzt jedes Originalwerk eine Art einzigartige Seele. Dies läge an der Vergegenständlichung des Werkes und der gegenwärtigen Existenz. Die Folge einer massenhaften Reproduktion ist der Verlust dieser Statik: Das Kunstwerk wird dynamisch und kann sich in vielen Räumen gleichzeitig bewegen. Das einmalige Sein des Kunstwerkes verschwindet und teilt sich in viele kleine Teile auf. Dadurch werden die Originalität und das eigentliche Werk nicht mehr als wertvoll erachtet. Die Einmaligkeit des Werkes hatte vorher großen Einfluss auf seine persönliche und gesellschaftliche Wirkung, was jetzt durch die Fotografie völlig verändert werden würde.
An dieser stellt sich jedoch die Frage: Wenn Walter Benjamin Anhänger des Marxismus war, dessen Ideologie aus Massenbewegungen und Massenherrschaft bestand, warum war ihm dann eine Massenbewegung in der Kunst zuwider? Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, auch wenn hier zunächst kein Zusammenhang zu bestehen scheint. Für Benjamin war das Proletariat das Wahre und der Ursprung der Macht und nur durch dieses könne Regierung und System garantiert werden. Darum war das Volk für ihn auch höher als die Regierung. Genauso erging es ihm beim Kunstwerk: Das Einzelwerk betrachtete er als einmalig und am wertvollsten. Massenbewegungen und omnipräsente Zugänglichkeit waren für ihn wertlos und zerstörten den echten Ursprung.
Auch in der heutigen Zeit kann man bestätigen, dass die Masse oft die Tradition zerstört. Viele historische Bauten wurden in der Vergangenheit durch neue ersetzt und achtlos niedergerissen, bis man irgendwann die Wichtigkeit der Erinnerung verstand. Viele sagen, dass Tradition nicht in unsere Zeit passt. Das mag in Teilen stimmen, aber trotzdem muss man sich zwei Dinge fragen: Erstens, heißt das, das die gesamte Tradition vergessen werden muss, und zweitens, ist „unsere Zeit“ dann überhaupt richtig, wenn jegliche alten Muster, die ebenfalls ihren Ursprung und ihren Hintergrund hatten, verloren gehen?
Für Walter Benjamin barg die Zukunft, die Fotografie und auch vor allem der Gefahr, die Einmaligkeit und das Erlebnis der Kunst zu zerstören. Was ist heute daraus geworden? Wir sehen, dass Kunst weniger geschätzt wird, junge Menschen sich weniger dafür interessieren, aus der Faszination Langeweile geworden ist. War Benjamins Kritik doch an der Stelle, die heute dafür verantwortlich ist?